In der Nacht auf Donnerstag, den 23.2.2022, marschierten russische Truppen auf Befehl des Präsidenten Vladimir Putin in die Ukraine ein. Seitdem herrscht Krieg. Doch warum ist all das überhaupt passiert?

Ein Symbolbild für den Krieg in der Ukraine

Offizielle Begründung

Wenn man nach einer Begründung für den Angriff sucht, liefert Putin diese sofort: Es ginge darum, die in der Ukraine lebenden Russen vor einem jahrelangen „Genozid“ zu retten. Zudem ginge es um eine „Entnazifizierung“ und „Entmilitarisierung“ der Ukraine.

Auf den ersten Blick scheinen diese Begründungen unsinnig zu sein, es gibt keinerlei Beweise zu einem Völkermord, es gibt keine nationalsozialistische Mehrheit in der ukrainischen Politik, und die Ukraine musste nach dem Zerfall der Sowjetunion alle ihre Atomwaffen an Russland abgeben.

Deswegen lässt sich diese Rechtfertigung Putins lässt sehr leicht faktisch widerlegen. Trotzdem hat Putin Gründe für seine Rechtfertigungen. Die Begründung des Schutzes von Zivilisten vor Verfolgung und Ermordung ist eine Begründung, die auch die NATO selber benutzt hat, um eigene Eingriffe in Krisengebiete zu justifizieren. Zum Beispiel bei dem der Eingriff der NATO in den Kosovokrieg. Auch der Vorwand der Entnazifizierung hat seine Hintergründe: Als recht junger Staat hat die Ukraine, die 1991 gegründet wurde, eine für junge Staaten typische starke nationalistische Bewegung. Diese beruft sich zum Teil auf den Ukrainer Stepan Bandera, welcher in den westlichen Teilen des Landes als Nationalheld gilt, in den östlichen Teilen aber größtenteils als NS-Kollaborateur verachtet wird.

Die offiziellen Begründungen und Rechtfertigungen Putins sind natürlich leicht widerlegbar. Doch ihr eigentlicher Zweck ist es, die NATO wie Heuchler dastehen zu lassen: Haben sie denn nicht die gleichen oder zu mindestens ähnliche Vorwände benutzt, um in andere Konfliktzonen einzugreifen?

Historische Gründe

Die Ukraine hat eine lange Geschichte, in der sie zu insgesamt 14 verschiedenen Ländern gehörte. Deswegen ist diese Geschichte oft von Auseinandersetzungen über Zugehörigkeit und Identität geprägt. Und oft gehörte die Ukraine zu dem gleichen Staat wie Russland, oder sogar zu Russland selbst. Darum sind diese beiden Nationen geschichtlich stark mit einander verwoben.

Kiewer Rus

So berufen sich die Ukraine und Russland beide auf den gleichen Gründungsvater: Wladimir den Großen, auch Wladimir I genannt. Dieser ließ nach seiner Taufe die Kiewer Rus, die in den heutigen Gebieten Ukraine, Russland, und Belarus liegt, christianisieren. Nach dem Zerfall der Kiewer Rus im 12. Jahrhundert und der mongolischen Invasion im 13. Jahrhundert entsteht aus einem der früheren Fürstentümer das Fürstentum Moskau, aus welchem später Russland wird. Daher wird die Kiewer Rus als „Wiege Russlands“ angesehen. Die beiden Staaten Russland und Ukraine diskutieren bis heute, wer der Nachfolger der Kiewer Rus sei.

Monument für Wladimir den Großen von dem Künstler Salavat Shcherbakov

Ursprung der Ukraine

Wie die russischen Zaren scheint auch Putin die Ukrainer als Teil eines größeren russischen Volkes aufzufassen. Nach dem Ende der Kiewer Rus wurden große Teile von dem Königreich Polen abgespalten. Sogenannte Kosaken kämpften gegen diese polnische Herrschaft und schafften es, einen eigenen Nationalstaat zu gründen. Aber schon im Jahr 1654 unterstellten sich die Kosaken der russischen Zarenherrschaft. Da diese jedoch mit der Zeit immer stärker die Autonomie der einzelnen Völker unter ihrer Herrschaft eingrenzte, gründete sich im 19. Jahrhundert eine erste ukrainische Nationalbewegung. Der Zar Alexander II verbot daraufhin jegliche Publikationen in ukrainischer Sprache.

Nach der russischen Revolution 1917 wurden die Ukraine zum ersten Mal in Jahrhunderten unabhängig, doch diese Unabhängigkeit hielt nicht lange. Im Westen bedienten sich Polen, Rumänien und die Tschechoslowakei an der jungen Ukraine, im Osten die Sowjetrepublik. Was noch übrig blieb, wurde 1922 als ukrainische, sozialistische Sowjetrepublik (SSR) in die UDSSR eingegliedert. Doch 1932 und 1933 ereilte ein schwerer Schicksalsschlag die Ukraine. Der Holodomor (zu Deutsch: Massenmord durch Hunger) brachte bis zu vier Millionen Menschen ums Leben. Dieses Massensterben ist auf die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft unter Stalin zurückzuführen. Der Holodomor belastet bis heute die Beziehungen zwischen Russland und Ukraine – die Ukraine möchte ihn sogar zum Völkermord erklären lassen.

Zerfall der Sowjetunion

Im zweiten Weltkrieg war die Ukraine einer der Hauptschauplätze – nicht nur der Kämpfe, sondern auch des Holocausts. Im Mai 2020 redete der ukrainische Botschafter von mindestens 8 Millionen vom Weltkrieg ausgelösten Toten. Nach dem Krieg bleibt die Ukraine Teil der Sowjetunion und beam ein verhängnisvolles Geschenk von ihr – die Krim. Diese war rein symbolischer Natur, da die Ukraine zur Sowjetunion gehörte.

Doch als diese 1991 zerfiel, wurde die Ukraine schnell ein eigener Staat. 1994 unterzeichnete die Ukraine das „Budapester Memorandum“, womit sie alle ihre Atomwaffen an Russland abtraten. Im Gegenzug versicherten ihr die USA, Großbritannien und Russland die Souveränität ihrer eigenen Grenzen.

Die Krim

2014 fand während einer russischen Besetzung der Krim ein Referendum über deren Beitritt zur russischen Föderation statt. Diese Abstimmung ging offiziell mit einer 97%igen Mehrheit für den Beitritt aus. Jedoch erkennen die Ukraine und die absolute Mehrheit der UNO-Staaten dieses Referendum nicht an, da die Abstimmung undemokratisch war. Der Termin wurde zweimal vorverlegt, es befanden sich höchstwahrscheinlich bewaffnete Männer im Raum der Abstimmung, und keine der beiden Stimmmöglichkeiten war eine Rückkehr zum Status quo vor der Okkupation.

Karte der Ukraine mit eingezeichneten Regionen und Großstädten

Außenpolitische Gründe

Während Russlands langer Geschichte setzte sich immer eine Strategie durch, unabhängig von Regierung und Staatsform: Man müsse eine Art Puffer zwischen sich und westlichen Staaten haben. Dies funktionierte im Zarenreich über die Außengebiete, in der UDSSR durch die zahlreichen Vasallenstaaten des Warschauer Pakts, und im heutigen Russland dadurch, dass man zwischen der NATO und sich immer zumindest einen Nichtmitgliedsstaat hatte. Heutzutage sind die beiden westlichen Nachbarländer Russlands, die nicht in der NATO sind, Belarus und die Ukraine. Jedoch versucht die Ukraine schon seit 2014, der NATO beizutreten.

Dadurch könnte ein Gefühl der Bedrängung Russlands von der NATO entstehen. Doch ein Staat kann der NATO nicht beitreten, wenn er gerade in einen aktiven Konflikt verwickelt ist. Dies, zusammen mit den Vorkommnissen von Öl und anderen Naturalien auf der Krim, ist auch einer der Gründe für die russische Besetzung der Krim.

Sozialpolitische Gründe

Die Ukraine ist seit langem gezwungen, eine Art Spagat zwischen Ost und West zu machen. Die meisten Menschen im Westen der Ukraine, dort wo der Großteil der Landwirtschaft niedergelassen ist, wollen eine mit dem Westen alliierte Ukraine sehen, die vielleicht sogar Mitglied in der NATO ist. Währenddessen wollen die meisten Menschen im Osten des Landes, wo es eine recht große russische Bevölkerungsgruppe gibt, eher in einer Ukraine leben, die mit Russland alliiert ist und vielleicht sogar Teil dieses Staates wäre. Nach langen Verhandlungen wurden die Gebiete Donezk und Luhansk zu autonomen Gebieten erklärt. Dies bedeutete, dass sie mehr Freiheiten hatten, über sich selbst zu bestimmen. Diese Gebiete wurden 2014 von russischen Separatisten zur „Volksrepublik Donezk“ und „Volksrepublik Luhansk“ erklärt. Seitdem gab es immer wieder Kämpfe zwischen den Separatisten und der ukrainischen Regierung.

Durch seine Unterstützung dieser Gebiete und Versprechen von „Freundschaft und Beistand“ wurde eine Stationierung von russischen Truppen dort möglich. Viele der dort lebenden Russen, sowie pro-russische Teile der sonstigen Bevölkerung feierten diese Unterstützung. Die westlichen Teile der Ukraine sowie die Staaten der NATO sahen dies jedoch als unrechtmäßige Invasion an.

Fazit

In der Frage um die Hintergründe des russischen Einmarschs spielen natürlich alle diese Beweggründe zusammen, und es kommen höchstwahrscheinlich noch mehr dazu. Dennoch ist es wichtig, sie zu verstehen, um eine friedliche Lösung zu finden und alle Perspektiven zu verstehen, auch wenn eine Seite klar im Unrecht steht.

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