Eine junge Königin ohne Erbin. Eine Magierin, getarnt als einfache Zofe. Eine junge Drachenreiterin, die trotz des Gesetzes einen Schiffbrüchigen rettet. So beginnt Der Orden des geheimen Baumes von der englischen Autorin Samantha Shannon. Das Buch erschien 2019 im englischen Sprachraum als „The Priory of the Orange Tree„. Die deutsche Übersetzung folgte 2023. Dabei wurde das Buch in zwei Bände mit den Untertiteln „Die Magierin“ und „Die Königin“ aufgeteilt.

 

Die Handlung

Tané, ein Waisenmädchen aus dem Inselreich Seiiki, findet am Strand einen Schiffbrüchigen. Doch indem sie sein Leben rettet und ihn zu einem ihr bekannten Gelehrten namens Niclays Roos bringt, bricht sie das Gesetz. Aufgrund einer früheren Epidemie ist fast jeder Kontakt mit der Außenwelt verboten. Sie riskiert die Leben aller drei – und ihre Chance eine Drachenreiterin zu werden.

Weit im Westen, im Königreich Inys, regiert die junge Königin Sabran III. In ihren Adern fließt das Blut einer alten Familie – nur die Königinnen von Inys können die dort verhassten Drachen zurückhalten. Doch sie hat keine Erbin und so schwebt die Zukunft des Königreichs und der gesamten Welt in Gefahr. Also schickt der Orden des geheimen Baumes eine talentierte Magierin, Ead, die sich als einfache Zofe tarnt. Und schon bald sind alle Protagonisten in ein Netz aus politischen Machenschaften und jahrhundertealten Konflikten verwickelt.

Ein feministischer „Herr der Ringe“ ?

Der Orden des geheimen Baumes wurde auf Sozial Media und vor allem auch TikTok teils als „feministisches Herr der Ringe“ angepriesen. Ich denke aber nicht, dass dies der Fall ist. Sicher, beide lassen sich ins Subgenre High Fantasy einordnen – die Welt ist also explizit magisch und unterscheidet sich stark von der unseren – aber das ist es eigentlich auch schon. Aber Der Orden des geheimen Baumes ist eben nicht nur ein weiterer Herr der Ringe-Klon, sondern ein eigenes Werk mit eigenen Stärken. Ist es nicht besser, das Buch für sich selbst sprechen zu lassen, anstatt es mit solch einem Genre-definierenden Werk zu vergleichen?

Zudem denke ich nicht, dass man das Buch nur auf die feministischen Aspekte beschränken sollte. Ja, zwei der vier Hauptcharaktere sind weiblich. Ja, „feministische Themen“ wie zum Beispiel die Leugnung des Einflusses von Frauen auf die Weltgeschichte spielen eine Rolle. Macht dies den Roman sofort feministisch? Meiner Meinung nach schon, aber das ist nur ein Aspekt des Buches.

Kritik

Der Orden des geheimen Baumes ist definitiv kein perfektes Buch. Der Anfang des Romans ist teils schleppend und das Ende scheint schon fast ein wenig überstürzt. Zusammengerechnet haben die beiden Bände auf Deutsch außerdem über 1000 Seiten, was das Ganze definitiv zu einem längeren Leserlebnis macht.

Es gibt insgesamt vier Erzähler in dem Buch: Ead, Tané, Arteloth Beck und Niclays Roos, doch Ead ist von diesen vieren zumindest meiner Meinung nach der interessanteste und sympathischste Charakter. In der deutschen Ausgabe wird sie sogar als „die Magierin“ im Titel des Buches erwähnt. Vor allem der Handlungsstrang rund um Arteloth hat oft nur wenig Auswirkung auf die der anderen Charaktere, und ich hatte teils große Schwierigkeiten, mit Niclays zu sympathisieren.

Aber dennoch ist Der Orden des geheimen Baumes eine der besten Reihen, die ich dieses Jahr gelesen habe. Ich persönlich bin ein Fan von langen Büchern, wenn die erzählte Geschichte auch tatsächlich so lang sein muss – und das ist hier definitiv der Fall. Samantha Shannon webt in diesem Buch meisterhaft ein Netz aus Magie, Religion, Geschichte und Politik, dass sich die über 1000 Seiten definitiv verdient hat. Und trotz des schleppenden Anfangs: Wenn die Handlung erst einmal Fahrt aufnimmt, dann auch richtig.

Das Problem mit den ungleich interessanten bzw. sympathischen Hauptcharakteren ist auch definitiv ein Problem. Doch Ead ist eine starke, komplexe und vor allem gut geschriebene Figur. Meine Probleme mit den anderen Charakteren sind außerdem natürlich nicht komplett objektiv. Und trotz meiner Probleme, mit den Handlungen einiger Charaktere zu sympathisieren, konnte ich diese dennoch nachvollziehen.

Empfehlung

Ich würde Der Orden des geheimen Baumes definitiv empfehlen, wenn ihr genug Zeit und Geduld habt, euch mit so einem Wälzer zu beschäftigen. Ich habe das Buch zuerst auf Englisch (also auch als einen Band) gelesen und würde euch empfehlen, dies auch zu tun. Mir persönlich gefällt Shannons Schreibstil sehr, auch wenn er teils ein wenig älter und formell wirkt. Und dennoch bringt der Roman mit seinem diversen Cast und der modernen Thematik zweifellos etwas Neues ins Genre der High Fantasy, welches noch immer stark vom Einfluss von Herr der Ringe definiert ist.

„Der Orden des geheimen Baumes“ ist kein perfektes Buch, aber ein sehr gutes. Für mich war es ein frischer Windhauch in einem teils recht verstaubten Genre und ich denke, dass das Buch sich seinen Online-Hype definitiv verdient hat.
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